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WILHELM JUNGMANN & NEFFE – EIN WIENER ORIGINAL

Betritt man das Geschäft von Wilhelm Jungmann & Neffe am Albertinaplatz, so fühlt man sich sofort in eine vergangene Ära versetzt. Kein Wunder, denn das Unternehmen für Stoffe und Accessoires besteht bereits seit dem Jahr 1866. Der weitläufige Verkaufsraum im Stil des Historismus beeindruckt, gilt Jungmann & Neffe doch als eines der wenigen original erhaltenen Geschäftslokale der Gründerzeit in Wien. Bis unter die Decke stapeln sich exklusive Stoffe, aus denen sich Kundinnen und Kunden hochwertige Kleidung maßschneidern lassen. Die Auswahl an Accessoires wie Krawatten, Stecktüchern, Schals oder Regenschirmen kann sich ebenfalls sehen lassen. Für Georg Gaugusch, der die Geschicke des Unternehmens seit 2005 leitet, steht die Qualität seiner Stoffe und Waren an oberster Stelle. So bezieht er die meisten Textilien aus England oder Italien und für die Zusammenarbeit kommen nur die besten europäische Schneidereien in Frage. Aber auch moderne Medien werden im Traditionsunternehmen gerne genutzt. Jeden Freitag laden Georg Gaugusch und sein Neffe Peter auf dem Instagram-Kanal von Jungmann & Neffe zum #fabricsfriday und besprechen auf durchaus humorvolle Weise alles zum Thema Stoffe. Wir haben mit dem Chef, der nicht nur Stoff-Experte, sondern auch Chemiker und Historiker ist, über die Geschichte von Wilhelm Jungmann & Neffe, seine Stammkundschaft und natürlich auch über Stoffe gesprochen.

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© Claudia Madlener

Warum würden Sie Ihr Geschäft als Wiener Original bezeichnen?
Was wir machen, ist ziemlich einzigartig. Nicht nur für Wien, sondern für Europa. Oder wenn ich ganz verwegen sein darf, für die ganze Welt. (schmunzelt) Alle reden von Qualität, Herkunft, Nachhaltigkeit und hochwertigen Produkten und wir machen nichts anderes. Was wir tun, ist uralt und gleichzeitig total modern.

Seit wann führen Sie das Unternehmen?
Seit Februar 2005 und zwar in vierter Generation. Meine Mutter hat vor mir das Geschäft geführt, davor meine Großmutter und vor ihr mein Urgroßvater.

Jungmann & Neffe hat ja eine sehr spannende und auch bewegte Geschichte.
Wenn man 150 Jahre in Mitteleuropa existiert, durchlebt man natürlich auch die historischen Entwicklungen der jeweiligen Zeit. Deshalb bringt mich die Pandemie momentan auch nicht aus der Fassung, denn wir haben schon die Spanische Grippe überlebt.

Was waren denn bis jetzt die Highlights und Tiefpunkte in der Geschichte von Jungmann & Neffe?
Ein Highlight war auf jeden Fall die Grundidee, französische Stoffe nach Österreich zu bringen, um den Seidenwebern in Wien zu zeigen, wie man das macht. 1881 wurde Jungmann & Neffe Hoflieferant. Im gleichen Jahr sind wir hierher auf den Albertinaplatz übersiedelt. Für uns war die düsterste Zeit sicher die NS-Zeit, weil der Betrieb da fast zugrunde gegangen wäre. Schwer waren auch die 70er- und 80er-Jahre, als billige Ware aus Fernost in Mode gekommen ist und Qualität nicht mehr so eine große Rolle gespielt hat. Seit Beginn der 90er-Jahre mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem EU-Beitritt haben wir wieder unseren "Weltmarkt". Für die Zukunft bin ich vorsichtig optimistisch. Unser Geschäft ist eine Nische, oder eher eine Nische der Nische, aber Qualität wird für viele junge Leute wieder wichtig.

Können Sie Ihre typische Stammkundschaft beschreiben?
Unsere durchschnittliche Stammkundschaft ist zwischen 30 und 90 Jahre alt, männlich, weiblich, divers oder sonst was und legt Wert auf nachhaltige Kleidung. Der typische Kunde ist jemand, der auch ein Individualist ist, der Stil und auch eigenen Ideen hat. Für diese Kundinnen und Kunden sind wir da.

Das heißt, die meisten Menschen kommen schon mit einer konkreten Idee zu Ihnen?
Ja, die Frage ist dann immer nur, ob man sie verwirklichen kann. Stoff ist ein technischer Artikel. Das vergessen die meisten oft. Nicht jeder Stoff ist für alles geeignet und nicht aus jedem Stoff kann man alles machen. Zum Beispiel braucht man für eine Hose a la Marlene Dietrich einen sehr weich fallenden Stoff, aber auch einen Stoff, der genug Körper hat, sonst fällt er in sich zusammen. Unsere Aufgabe ist es, den Wunsch der Kundschaft in dem Stoff umzusetzen, mit dem die Schneiderei dann arbeiten kann. Wir haben also eine Support-Tätigkeit.

Woher kommen Ihre Stoffe?
Aus England und Italien. Hier im Geschäft gibt es zwei goldene Regeln: Keine Kunstfasern und nur hochwertige Stoffe aus Europa, eben hauptsächlich England und Italien und ein bisschen Leinen aus Österreich.

Worauf sind Sie besonders stolz?
Ich bin eher ein demütiger Mensch, Stolz ist die falsche Entwicklung. Aber wenn man mich fragt, was wir richtig machen, würde ich sagen, wir sind ziemlich kompromisslos, was unser Produkt angeht. Preis ist für uns kein Kriterium. Gute Sachen kosten eben, was sie kosten. Wir sind nicht sehr preiselastisch. Wir haben uns da nie verbogen. Man muss den Leuten klar kommunizieren: Sie können kein nachhaltiges Produkt zum Preis von Schrott haben. Was einen Wert hat, hat auch seinen Preis.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft von Jungmann & Neffe?
Rahmenbedingungen, die für alle gleich sind. Es kann nicht sein, dass es Unternehmen gibt, die keine Steuern zahlen und nichts zur Gemeinschaft beitragen. Ich wünsche mir auch, dass sich die Politik für Klein- und Mittelbetriebe mehr interessiert, aber den Markt auch nicht überreguliert. Die Betriebe brauchen gerade jetzt Luft zum Atmen.


Wilhelm Jungmann & Neffe
Albertinaplatz 3, 1010 Wien
www.feinestoffe.at/ 

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